Über Freiheit

Aus religiösen Gründen soll ein altes Mütterchen nur von Frauen, keinesfalls von Männern behandelt werden. Doch ein Krankenpfleger will diesem Wunsch nicht nachkommen und seine Berufsfreiheit nicht einschränken.

Eine muslimische Großfamilie hatte ihm seine deutsche Freiheit genommen.
War er darüber so erbost? Oder grämte ihn nur, wie leicht er sie preisgegeben hatte?

Chromosomen oder Kompetenzen

Angetüdelt und sich um Kopf und Kragen redend, saß er vor mir. Im Wohlstandsambiente. Haus. Garten. Hund. Garage. Wir gingen das Geschehene noch einmal durch. Eines Tages, er arbeitete im Krankenhaus, da kam besagte Familie auf seine Station und verlangte ein Heilverfahren. Ein Mütterchen hatte sich etwas eingefangen und nun sorgten ihre männlichen Vormünder für die Behandlung. Sie stellten die Bedingung auf, kein Mann dürfe sie pflegen, ihr Zimmer betreten oder sie operieren. Das stellte die Station vor Probleme. Zwar gab es theoretisch genug weibliche Pfleger aber die Verantwortlichkeiten wurden nicht nach Geschlecht zugeteilt. Es gab zu wenig Chirurginnen und Operationshelferinnen. Die Patientenzimmer waren nicht rein weib- oder männlich organisiert. Und dann noch diese verflixte Sache mit der Gleichstellung der Geschlechter, dieser deutschen Freiheit, vordergründig nicht nach Chromosomen, sondern nach Kompetenz beurteilt zu werden und seinen Beruf ausüben zu können.

Grüne im Einsatz. ©für alle

Die Diskussion mit den männlichen Vormündern wurde naturgemäß hitzig und weil eine Seite sich nicht kompromissbereit zeigte, gab die Station letztlich klein bei. Den Fall bzw. diese mittelalterliche Forderung abzulehnen, getrauten sie sich nicht. Hatten sie doch Angst, die als aggressiv wahrgenommenen Männer würden wiederkommen und die Station kurz und klein schlagen. Anderswo war das wohl schon geschehen. Munkelte man. 

Die haben uns gezwungen

Und so veranstalteten sie ein riesiges Theater, um der Forderung nachzukommen. Für die nötige Routineoperation, die sonst mit örtlicher Betäubung schnell gemacht gewesen wäre, versetzten sie das Mütterchen in Vollnarkose. Nur um dann, war sie einmal eingeschlafen, die Schwestern aus dem Raum springen zu lassen und die Chirurgen und Operationshelfer herbei zu holen. Als sie aufwachte dann: Puff! Standen wieder nur Frauen um sie herum.

Dass er, seines Zeichens Operationshelfer, an diesem Tag ein Stück Freiheit abgeben hatte, ist nicht meine Diagnose, sondern seine. Er fühlte sich schlecht, weil er entgegen seiner Überzeugung gehandelte hatte und lud die Schuld nun ab: „Diese Muslime haben uns, die haben mich, gezwungen ihre Lebensart durchzusetzen.“ Dieser Schlussfolgerung entsprang dann die nur natürliche Generalisierung und blinde Abneigung, die ich Ihnen hier zu beschreiben ersparen möchte.

Für Freiheit einstehen

Erst später fiel mir auf, dass er verantwortlich war. Dass nur er, stand er auch unter Druck, ein Stück seiner Freiheit aufgegeben hatte. Nicht diese Familie war dafür haftbar zu machen, sie zeigte ihm nur, wie feige er war und wie sehr er sich würde fürchten müssen, weil die, die da anders dachten als er, so viel stärker und rücksichtsloser waren. 

Gerne hätte ich ihm gesagt: Eine Freiheit für die man nicht einsteht, ist wertlos. Eine Überzeugung für die man nicht streitet, leblos.

 

Bildquelle: © Florian Kiel