Das Programm QuartierPflege

Ein ambulanter Pflegedienst aus Nachbar:innen und Angehörigen.

Modellübersicht im Detail | Die dazugehörigen Projekte | Die beteiligten Expert:innen

Auf einen Blick

Das Ziel der QuartierPflege ist es, die pflegerische Grundversorgung zu Hause sicherzustellen über die systematische, nachhaltige und wertschätzende Beschäftigung von Angehörigen und Nachbar:innen. So erfahren Menschen mit Pflegebedarf eine umfassendere Unterstützung und mehr Lebensfreude, da sie gut aus der vertrauten Umgebung heraus versorgt werden können.

Die QuartierPflege kurz erklärt:

  • Ist ein (kommunaler) ambulanter Pflegedienst aus Angehörigen und Nachbar:innen

  • Reagiert auf den Personalnotstand in der ambulanten Pflege durch Grundversorgung aus der unmittelbaren Nachbarschaft

  • Erfolgt auf der Basis der geltenden Gesetzgebung, ist innovativ, offen, anpassungsfähig und vielfältig

  • Setzt auf strategische Kooperationen im Quartier (ambulante Dienste, Hausärzt:innen, Apotheker:innen, Bürgervereine etc.)

  • Senkt Einstiegshürden für die Mitwirkung an ambulanter Pflege durch modulares Schulungskonzept, passgenaue Angebote für alle Generationen und professionelle Integration diverser Engagementstufen von Ehrenamt über Minijob bis Vollzeit

Modellübersicht im Detail

Pflegebedürftige in Deutschland: ca. 0,8 Millionen werden in Heimen betreut und 4,1 Millionen Menschen waren 2019 pflegebedürftig

Immer mehr Menschen mit Pflegebedarf und immer weniger Fachkräfte in der Pflege: Durch den Pflegenotstand sind klassische Pflegedienste überlastet und eine angemessene Pflege der Menschen mit Bedarf ist kaum noch möglich.

Studien prognostizieren eine Personallücke von zwischen 250.000 bis 400.000 Pflegefach- und hilfskräften bis zum Jahr 2030. Das liegt unter anderem an dem hohen Altersdurchschnitt der aktuell im Gesundheitswesen Beschäftigten.

Selbst wenn durch eine Gesetzesänderung die Pflegeversicherung in eine Vollversicherung umgewandelt würde, ist es äußerst unsicher, ob der Pflegeberuf im Vergleich zu anderen Berufen ausreichend attraktiv wäre, um genügend Neueinstellungen von Fachkräften zu gewährleisten.

Die Anzahl pflegender Angehöriger wird nicht steigen, da unsere Arbeitswelt und modernen Lebensumstände dies nicht zulassen. Zudem bringen die Belastungen der Pflege Familien oft emotional und finanziell an ihre Grenzen, was bereits heute zu viel diskutierten Problemen wie häuslicher Gewalt und Gender-Ungerechtigkeit führt.

Beschäftigte im Gesundheitswesen

Die Digitalisierung, speziell die Robotisierung, könnte rein quantitativ zur Problemlösung beitragen. Ob damit komplexe Tätigkeiten abgedeckt werden können, bleibt jedoch höchst fraglich. Menschliche Fürsorge bliebe weiterhin vernachlässigt.

Aus unserer Sicht sind Nachbar:innen die einzige Gruppe, die sinnvoll den Fachkräftemangel und die damit verbundenen Probleme lindern kann.

Das entspricht im Übrigen genau der gesetzlichen Grundlage: Gemäß §3 des Pflegegesetzes nach SGB 11 hat die häusliche Pflege Vorrang vor ambulanter oder stationärer Versorgung. Das Gesetz sieht also ausdrücklich vor, dass die häusliche Pflege durch Angehörige und Nachbar:innen getragen wird.

Unsere Vision

Laut Forsa-Umfrage vom März 2023 machen sich über 50 Prozent der Menschen große oder sehr große Sorgen für den Fall, einmal selbst pflegebedürftig zu werden. Studien prognostizieren eine Personallücke von bis zu 400.000 Pfleger:innen die uns schon im Jahr 2030 fehlen werden.

Das Modell QuartierPflege setzt diesem absehbaren Notstand so stabile und gute Rahmenbedingungen für das Engagement von Nachbar:innen und Angehörigen entgegen, dass Menschen mit Pflegebedarf trotzdem versorgt werden können. Sie erhalten die Fürsorge, hauswirtschaftliche Unterstützung und Grundpflege, die sie brauchen und verdienen.

So funktioniert die QuartierPflege:

  • Menschen mit Pflegebedarf erhalten Unterstützung durch ein professionelles Netzwerk von Nachbar:innen aus ihrem Umfeld und werden besser sozial integriert. Je nach eigenen Fähigkeiten können sie auch selbst unterstützen.

  • Nachbar:innen leisten Hilfe und erleben die Dankbarkeit der von ihnen gepflegten Menschen. Sie können so mit einer sinnvollen Tätigkeit mit niedrigen Einstiegshürden etwas dazuverdienen.

  • Pflegende Angehörige werden durch diese Nachbar:innen entlastet und können sich dabei auf die QuartierPflege verlassen. Sie sind auch selbst Teil des aktiven Netzwerks. Sie werden für die Pflege, die sie ohnehin leisten, entlohnt. Dabei haben sie die Sicherheit, ihre Angehörigen in guten Händen zu wissen.

  • Wir geben den Kommunen somit eine konkrete, direkt umsetzbare Handlungsoption, die zudem soziale Teilhabe beflügelt und regionale Geldkreisläufe verstärkt.

Das alles wird aus dem Mitteln der Pflegeversicherung finanziert, für die Pflegebedürftigen entstehen keine Extrakosten.

Mit unserem Programm schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass Initiativen vor Ort, bestehende ambulante Dienste, Wohlfahrtsverbände, Wohnungsgesellschaften, Gemeinden, Landkreise und Bundesländer QuartierPflege rechtlich tragen und umsetzen können. Die QuartierPflege basiert auf den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen und finanziert sich selbst. Insofern gibt es keine Gegenargumente mehr für Verantwortungsträger:innen, den ihnen übertragenen Aufgaben auch nachzukommen. Durch die QuartierPflege können wir zumindest eine Grundversorgung in Zeiten akuten Fachkräftemangels sicherstellen.

Wir versuchen also aus einem Notstand das Beste zu machen – und das mit sehr positiven Auswirkungen auf Beschäftigung, soziale Teilhabe und Fürsorge:

  • Die tätige Pflege innerhalb einer kleinen Nachbarschaft führt automatisch zu einer erhöhten Netzwerkaktivität im Quartier. Tätigkeiten wie Einkaufen, Bügeln, Essen und Lesen sind ohnehin soziale Interaktionen, und auch Körperpflege sollte in einem sozialen Kontext stattfinden.

  • Pflegebedürftige können dadurch nicht nur wesentlich länger und unabhängiger in ihrem vertrauten Wohnumfeld bleiben, sondern nehmen durch die Einbindung in das Nachbarschaftsnetzwerk weitaus stärker am sozialen Leben teil. Dies kann sich positiv auf den Erhalt physischer, psychischer und kognitiver Fähigkeiten auswirken.

Mit den Zusatznutzen einer erhöhten sozialen Teilhabe und einem hohen ortsbezogenen Beschäftigungspotential sehen wir Chancen zu einer tatsächlichen Schubumkehr in der Pflege hin zu örtlichen, miteinander vertrauten, für sich sorgenden Gemeinschaften.

Zielgruppen

Die QuartierPflege richtet sich an Menschen mit Pflegebedarf, Angehörige, die diese pflegen und an alle Menschen, die in der Nachbarschaft wohnen und sich pflegerisch einbringen und etwas dazuverdienen möchten. Selbstverständlich gilt all dies für Menschen mit und ohne Behinderung.

Der Wunsch nach einer Grundversorgung ist allen Menschen mit Pflegebedarf gemein, unabhängig von dem ihnen zugeteilten Pflegegrad. Die benötigten Hilfen und deren Intensität variieren je nach Pflegegrad. Diesen individuellen Bedarf ermitteln Fachkräfte im Einzelfall und organisieren dafür ein Netzwerk aus Nachbar:innen. Daher gehört jeder Mensch mit einem Pflegegrad von 1 bis 5 zu unserer Zielgruppe. Bei Menschen mit höheren Pflegegraden tritt zusätzlich ein klassischer ambulanter Dienst hinzu, der sich auf Behandlungspflege oder komplexe Grundpflege konzentriert.

Wir betrachten Angehörige nicht als Laien, sondern als hochengagierte Personen, die in Bezug auf die Pflege der ihnen nahestehenden Personen in vielen Bereichen mehr wissen als alle anderen. Dabei ist es unerheblich, ob Angehörige im Haushalt wohnen, in der Nachbarschaft oder fernab: Unser Ziel ist es, Angehörigen, wenn sie und die pflegebedürftigen Menschen das wünschen, eine koordinierende Stellung im Netzwerk zuzuweisen. Nicht zuletzt auch, um das professionelle Fallmanagement vor Ort zu flankieren und zu entlasten.

Angehörige können im ambulanten Dienst der QuartierPflege regulär angestellt werden und erhalten dadurch quasi einen Pflegelohn – eine jahrelange Forderung der Verbände, die wir innerhalb der bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen in der QuartierPflege umgesetzt haben.

Alltagsbegleitung

– Begleitung außer Haus
– Individuelle Beschäftigung
– Mahlzeiten zubereiten und verzehren
– Gedächtnistraining
– Gruppenaktivitäten
– Gymnastik

Hauswirtschaft

– Fenster putzen
– Wäsche waschen, aufhängen, zusammenlegen
– Beheizen und Lüften
– Einkaufen
– Wohnräume reinigen
– Bettwäsche wechseln
– Haustiere versorgen

Nachbar:innen sind divers und keine homogene Gruppe. Weil wir um die Schwierigkeiten wissen, Nachbarschaft zu mobilisieren, konzentrieren wir uns auf kleinteilige Sozialräume, wo Betroffene, Angehörige und Nachbarschaft sich untereinander bereits kennen und begegnen. Zwei klare Abgrenzungen lassen sich gleichwohl treffen:

  • Nachbar:innen wohnen im ausgewählten Kleinquartier.

  • Sie haben ein Alter zwischen 14 und 80 Jahren.

Grundpflege

– Mund- und Zahnpflege
– An- und Ausziehen
– Aufstehen und Zubettgehen
– Mobilität in der Wohnung
– Benutzen der Toilette
– Körperwaschung und Duschen

Für die Aufgaben werden die Nachbar:innen jeweils passend geschult. Die Tätigkeiten kommen aus den Bereichen Alltagsbegleitung, Hauswirtschaft und Grundpflege. Für die Behandlungspflege bleiben die etablierte ambulante Dienste zuständig.

Nachbar:innen engagieren sich ehrenamtlich, in Teilzeit oder in Vollzeit, angestellt oder freiberuflich – entsprechend ihren Präferenzen und den Tätigkeiten, die sie in der QuartierPflege übernehmen möchten. Einmal im Monat etwas vorzulesen ist ein Ehrenamt, während Tätigkeiten wie dreimal in der Woche Einkaufen, Kochen oder Hilfe bei der Körperpflege regulär entlohnt werden. Die QuartierPflege schafft damit erhebliche Zuverdienste und reguläre Beschäftigung durch Ehrenamt und Arbeit mit langjährig bekannten und geschätzten Menschen in der eigenen Nachbarschaft.

Die lokalen Netzwerke

In einem Quartier mit ca. 1.500 Bewohner:innen entstehen lokale Netzwerk aus drei bis sechs festen Nachbar:innen pro pflegebedürftiger Person. Sie entlasten die Angehörigen und Menschen mit Unterstützungsbedarf.

Die Nachbar:innen werden dabei durch das Fallmanagement begleitet. Dort werden Termine koordiniert, Einsätze von Nachbar:innen und Angehörigen geplant und zwischen allen Beteiligten vermittelt. Gegebenenfalls benötigte professionelle Pflegekräfte kümmern sich um anspruchsvolle pflegerische Tätigkeiten und treten dem Netzwerk punktuell bei.

Gemeinsam bilden sie Sorgegemeinschaften:

Durch die Vertrautheit eines überschaubaren Quartiers setzt die QuartierPflege gute Rahmenbedingungen für ein nachbarschaftliches, sinnstiftendes Gemeinschaftsgefühl. Man kennt sich, man schätzt sich, man versteht seine Stärken und Schwächen. Durch kontinuierliches und zuverlässiges Engagement in Netzwerken vor Ort entstehen menschliche Nähe und wachsende Vertrautheit. Die QuartierPflege wird somit zu einem Motor der sozialen Teilhabe, denn Pflege bedeutet nicht nur medizinische Versorgung, sondern auch Kochen, Spielen, Bügeln oder Spazierengehen. Aus dieser menschlichen Nähe und Verbindung miteinander ergibt sich quasi automatisch mehr Fürsorge in der Pflege.

Engagementstufen

Wir schlagen ein Stufenmodell des Engagements in der QuartierPflege vor:

  • 2 bis 4 Stunden pro Woche, unverbindlich, ehrenamtlich

  • 4 bis 8 Stunden pro Woche, unverbindlich, selbstständig oder ehrenamtlich

  • 4 bis 8 Stunden pro Woche, verbindlich, angestellt im Minijob

  • 8 bis 40 Stunden pro Woche, verbindlich, angestellt in Teil- bis Vollzeit

Wir sehen durch diese variable Form der Entschädigung eine Grundvoraussetzung dafür erfüllt, dass Nachbar:innen sich wertgeschätzt fühlen können. Der Übergang zu regulären Hilfs- oder Fachkräften ist gewünscht und einfach möglich. Begleitende Zusatzqualifizierungen liegen im Interesse der kooperierenden ambulanten Dienste oder der Trägergesellschaft im Quartier.

So entsteht eine Treppe des Engagements, die vom lockeren Ehrenamt bis hin zur stabilen, verbindlichen Beschäftigung im gewünschten Umfang führt. Daher ist es uns wichtig, dass die vertraglichen Möglichkeiten für Ehrenamtliche und Angestellte zwischen 2 und 40 Stunden pro Woche liegen.

Schulungskonzept

Die Treppe des Engagements wird unter anderem ermöglicht durch unser Schulungskonzept: Nachbar:innen übernehmen ausschließlich Aufgaben, für die sie eine Schulung erhalten haben. Dies stellt eines unserer Grundprinzipien dar, um von Anfang an die solide Qualität der durchgeführten Tätigkeiten zu gewährleisten.

Die Schulungen werden so gestaltet, dass sie von den Nachbar:innen als willkommene und notwendige Qualifizierung betrachtet werden. Daher ist unser Schulungskonzept auf einzelne Tätigkeiten ausgerichtet, die sich aus den Leistungskomplexen der Krankenkassen für die Bereiche Hauswirtschaft, Alltagsbegleitung sowie Grundpflege ergeben. Dabei handelt es sich ausdrücklich nicht um Behandlungspflege.

Dauer und Umfang der Schulungen richten sich nach dem Einsatz. Eine Nachbarin, die ausschließlich Einkaufshilfe leistet, wird maximal eine Schulung von 1,5 Stunden akzeptieren. Im Gegensatz dazu wird jemand, der beim Duschen assistiert, einen Schulungsaufwand von bis zu 4 Stunden verstehen und begrüßen, um die Tätigkeit sicher und umsichtig ausführen zu können.

Wird das Tätigkeitsfeld erweitert, kommen neue aufgabenbezogene Inhalte hinzu. So entwickelt sich über Monate oder Jahre die Treppe des Engagements, indem Nachbar:innen sich auf spezifische Aufgaben konzentrieren und zusätzlich für neue Verantwortlichkeiten qualifiziert werden. In der Regel beginnen Nachbar:innen mit Tätigkeiten in den Bereichen Hauswirtschaft oder Alltagsbegleitung. Tätigkeiten im Bereich Grundpflege kommen erst nach einer gewissen Zeit hinzu.

Neben den aufgabenbezogenen Schulungsinhalten gibt es auch übergeordnete Module, die sich mit der Sensibilisierung für die Zielgruppe älterer Menschen beschäftigen.

Im Rahmen der Schulungen entsteht außerdem eine direkte Interaktion zwischen dem Fallmanagement und den Nachbar:innen. Dadurch wird nicht nur fachliche Kompetenz vermittelt, sondern auch der persönliche Austausch gefördert.

Hier erfahren Sie mehr über unser Schulungskonzept.

Fallmanagement

Entscheidend für den Erfolg der QuartierPflege ist das Fallmanagement, das aus Netzwerk-Koordination und Quartier- bzw. Pflegemanagement von Angehörigen und Nachbar:innen besteht.

Modernes Freiwilligenmanagement geht in seinen Hypothesen davon aus, dass kleine, übersichtliche, klar umgrenzte Tätigkeiten auf Zeit und flexibel ausgeübt werden können. Für Freiwillige ist es neben der Qualifizierung darüber hinaus wichtig, in Netzwerke eingebunden und fachlich dauerhaft begleitet zu werden. Genau das macht die QuartierPflege über das Fallmanagement.

Fallmanagement in der QuartierPflege bedeutet die Leitung eines Netzwerkes von 250 bis 500 Personen. Je nach Ausprägung des Quartiers sowie Stand der Quartierentwicklung sind dafür ein bis zwei Vollzeitkräfte nötig.

Digitalisierung

Die komplex vernetzte Gemeinschaft der QuartierPflege braucht eine effiziente Organisation, um informell Pflegende zu entlasten. Interaktive Technologien können dabei helfen.

Die Einführung digitaler Dienstleistungen und Produkte in der QuartierPflege ist daher von besonderer Bedeutung. Dabei achten wir darauf, dass Nutzer:innen direkt einen Mehrwert erkennen und Hürden bei der Bedienung vermieden werden, um auch weniger technikaffine Menschen mit einzubeziehen.

Insbesondere die Nutzung von E-Mails, Chats oder Apps erleichtert die Koordinations- und Austauschprozesse. Hierfür gibt es bereits Lösungen auf dem Markt, die speziell für die ambulante Pflege entwickelt wurden. Mit dem Marktführer für IT-Lösungen in der Sozialwirtschaft Connext Vivendi1 und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg erweitern wir bestehende Software-Lösungen so, dass Angehörige und Nachbar:innen zukünftig eigenständig ihre Einsätze und Touren untereinander und mit dem Fallmanagement abstimmen können.

Hier erfahren Sie mehr über unsere IT-Systemlandschaft.

Finanzierung

Die QuartierPflege ist rechtlich gesehen ein ganz normaler ambulanter Pflegedienst. Dessen Leistungen für pflegebedürftige Personen werden aus Mitteln der Pflegeversicherung finanziert. Mit diesen Geldern werden die laufenden Kosten der QuartierPflege gedeckt. Menschen mit Pflegegrad müssen daher nichts extra zahlen, sondern werden über die ihnen zugesprochene Sachleistung versorgt, die je nach Pflegegrad variiert. Dazu kommen Gelder aus Verhinderungspflege, Entlastungsbetrag oder bei Menschen mit Behinderungen auch des persönlichen Budgets.

Als ein ambulanter Dienst aus Nachbar:innen und Angehörigen vergüten wir die Leistungen, wenn gewünscht, genauso tariflich wie alle professionellen ambulanten Dienste auch. Das bedeutet, dass Angehörige sich bei der QuartierPflege anstellen lassen können und eine Art Pflegelohn erhalten – einen regulären Verdienst, der der Steuer unterliegt und Rentenpunkte bringt sowie regulär sozialversichert ist. Das gilt genauso für engagierte Nachbar:innen oder Menschen, die trotz eigenen Unterstützungsbedarfs anderen helfen möchten und können. Wir nutzen also die geltende Rechtslage, drehen aber das Spielfeld um 180 Grad, indem wir die informelle Sorgegemeinschaft genauso honorieren wie professionelle Kräfte.

Zur Einordnung: Professionelle ambulante Dienste bestehen ohnehin zu 80 Prozent aus (ungelernten) Hilfskräften, nur 20 Prozent der Mitarbeiter:innen sind Fachkräfte. Die QuartierPflege ist also personell nicht so verschieden von klassischen ambulanten Diensten, wie das auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mag. Zudem sind pflegende Angehörige aus unserer Sicht keine Laien, sondern ohnehin der größte Pflegedienst Deutschlands. Wir geben diesen Menschen lediglich eine Struktur, eine Organisationsform, die sie achtet, wertschätzt und entsprechend auch entlohnt, wenn das gewünscht ist.

Die Umsetzung des Programms QuartierPflege, also des Aufbaus von Wissen und Projektfähigkeiten des gemeinnützigen Vereins wird über Fördergelder gewährleistet, unter anderem durch:

  • Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK)

  • Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

  • Robert-Bosch-Stiftung

  • Software AG Stiftung

  • Heidehof Stiftung

Die QuartierPflege ist folglich praktikabel, direkt umsetzbar und voll durchfinanziert. Benötigt werden lediglich Anschubfinanzierungen für Pilotprojekte. Die mittelfristige Finanzierung nach Aufbau der benötigten Strukturen erfolgt über die Pflegeversicherung sowie weitere angrenzende bestehende Gesetze und Normen.

Beteiligte

Angestoßen wurde die QuartierPflege vom Verein Gesellschaft für Gemeinsinn e.V. aus Leipzig und ist nun ein bundesweites Programm mit zehn verschiedenen Projekten an ganz unterschiedlichen Standorten.

Der gemeinnützige Verein übernimmt die strategische Programmentwicklung, damit die Hauptziele und Instrumente in der Umsetzung mit Laufe der Zeit immer genauer und wirkmächtiger werden. Die IT-Landschaft, in der Nachbar:innen und Angehörige effizient mit klassischen Pflegediensten Einsatzplanung koordinieren können, setzen wir mit dem Marktführer für IT in der Sozialwirtschaft Connext unter wissenschaftlicher Begleitung um.

Außerdem koordiniert die Gesellschaft für Gemeinsinn die Projektumsetzung an den Standorten, damit Erfahrungsaustausch und Skalierung von Quartieren möglichst reibungslos funktioniert. Aktuelle Kooperationspartner:innen sind beispielsweise die Pflegeversicherung AOK Plus, die Verwaltungsgemeinschaft Rhinow, der Landkreis Landsberg, der Betreuungsdienst ABE Zuhause genauso wie lokale Kirchgemeinden, Wohnungsbaugesellschaften und Nachbarschaftshilfen oder das Sozialamt.

Operative lokale Kooperationspartner:innen vor Ort sind auch Bürgervereine, Sportvereine, Stiftungen und andere Akteur:innen der Zivilgesellschaft. Auch hier geht es uns um Bekanntmachung der QuartierPflege und Einbeziehung der Partner:innen, um spezifische örtliche Angebote der Alltagsbegleitung zu schaffen. Bisweilen überlappen sich Angebote der offenen Seniorenarbeit und der Alltagsbegleitung laut Pflegeversicherung. In solchen Fällen können lokale Kooperationspartner:innen Teilaufgaben der Koordination in einem Quartier direkt übernehmen.

Darüber hinaus kooperieren wir strategisch mit Ärzt:innen, Apotheken und Pflegekassen. Das Ansehen dieser Institutionen spielt eine große Rolle, und wir nutzen ihren Vertrauensvorschuss. Insbesondere bei Menschen mit Pflegegrad, die bereits betreut werden, erfolgt die Ansprache über die ambulanten Dienste oder Betreuungsdienste.

Auszeichnungen und Preise

Pressespiegel

Hier bündeln wir Presseartikel zum Programm und zu den gewonnen Preisen.

Mit Ihrem Projekt widmen Sie sich einem gesellschaftlich hochrelevanten Thema. Auch aus meiner Sicht mangelt es an der ernsthaften politischen Bearbeitung des Problems. Ihre Vision und Ihr Ansatz sind sehr interessant und machen Hoffnung.

Mit Ihrem Konzept greifen Sie eines der wichtigsten Themen auf, das die Gesellschaft derzeit beschäftigt. Die Komplexität und die detaillierte Ausarbeitung der einzelnen Handlungsfelder zeigt, wie viel Herzblut Sie in das Projekt legen und bereits gelegt haben.
— Feedback der Jury
 

Die QuartierPflege wird gefördert von:

Umsetzung: Die einzelnen Projekte

Seit 2018 wird an der QuartierPflege gearbeitet – zuerst in offenen Diskussionen mit Anspruchsgruppen. 2019 wurde ein vorläufiges Modellprojekt in Halle an der Saale getestet und seit 2021 haben wir begonnen, die QuartierPflege am Standort Leipzig zu testen. Seit 2022 setzen wir nun den ersten Piloten in Leipzig um und seit 2024 pilotieren wir auch im Landkreis Landsberg am Lech.

Hier finden Sie eine Übersicht der aktuellen und abgeschlossenen QuartierPflege-Projekte:

IT Systemlandschaft | bundesweit | 2022 - 2026

Engagement durch die Nachbarschaft kann Angehörige von Pflegebedürftigen erheblich entlasten und den Fachkräftemangel in der Pflege abmildern. Damit derartige Sorgegemeinschaften gut funktionieren, benötigen wir interaktive digitale Technologien. Mit dem Marktführer für IT-Lösungen in der Sozialwirtschaft - Connext Vivendi - und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg erweitern wir bestehende Software-Lösungen so, dass Angehörige und Nachbar:innen zukünftig eigenständig ihre Einsätze und Touren untereinander und mit den Pflegelotsen im Quartier abstimmen können. Wertschätzung und Gleichberechtigung mit dem professionellen Sektor führen wir also quasi durch die digitale Hintertür ein, in dem wir die Spielregeln institutionell verändern.

 

Menschen mit Behinderung | Standort Leipzig | 2023 - 2025

Menschen mit Behinderungen haben einen im Zweifel noch höheren Bedarf für QuartierPflege als die bisherige Zielgruppe ältere Menschen. Mit dem neuen Bundesteilhabegesetz ergeht die Aufforderung und Förderung für Menschen mit Behinderung sich stärker selbst zu versorgen und zu organisieren und Unterstützung aus dem Sozialraum zu nutzen, aber auch selbst Unterstützung anzubieten. Hierzu fehlt es aktuell an koordinativen unterstützenden Prozessen für diese Menschen, sich ein Netzwerk aus Unterstützer:innen aufzubauen. Nichts anderes macht die QuartierPflege und zwar über das Fall-Management vor Ort. Daher möchten wir das bisherige Programm auf diese neue Zielgruppe ausweiten. 

 

Schulungskonzept | Standort Leipzig | 2020 - 2021

Nachbar:innen müssen sich in der Lage sehen, unterstützen, sorgen bzw. pflegen zu können. Ansprechpartner:innen, Beratung und Schulungsmöglichkeiten müssen vor Ort vorhanden sein, um Pflegebereitschaften in der Nachbarschaft gezielt fördern zu können. Unser Schulungskonzept ist daher auf einzelne Rollenprofile und Aufgaben ausgerichtet. Modernes Freiwilligen-Management geht in seinen Hypothesen genau davon aus: kleine, übersichtliche, klar umgrenzte Tätigkeiten, die auf Zeit und flexibel ausgeübt werden können.

 

Modellprojekt | Standort Halle | 2019 - 2020

In einem ausgewählten Kleinquartier von ca.1.500 Bewohner:innen diskutierten wir die Rahmenbedingungen für ein gesteuertes und angeleitetes Nachbarschaftsnetzwerk zwischen April 2019 und August 2020. Das Quartier im Rosengarten der Bau- und Wohnungsgenossenschaft Halle-Merseburg e.G. war besonders geeignet, weil es mit 1.000 Wohneinheiten, seiner nahbaren Struktur sowie einer Begegnungsstätte gute Voraussetzungen bot, um mit Hilfe der Genossenschaftsverwaltung im Wohnquartier hauswirtschaftliche Unterstützung, Fürsorge und Grundpflege zu organisieren.

Umsetzung | Landkreis Landsberg am Lech | 2024 - 2028

In Landsberg am Lech soll auf der Ebene des Landkreises ein kommunaler ambulanter Pflegedienst aus Angehörigen und Nachbarinnen gegründet werden. Dieser kommunale Eigenbetrieb wird für alle Gemeinden des Landkreises sowie für alle Nachbar:innen und Angehörigen im Landkreis die QuartierPflege rechtlich tragen. Für die strategische Projektplanung und Umsetzung hat der Landkreis 50.000 Euro pro Jahr bewilligt. Das Dorf Erpfting ist das erste Quartier im Landkreis, indem wir QuartierPflege vor Ort umsetzen werden. Dazu hat die Stadt Landsberg am Lech ein Budget von 230.000 Euro für die nächsten fünf Jahre bewilligt. Mit weiteren 40.000 Euro im Jahr 2024 finanziert der Landkreis Fundraising für weitere Standorte in der Gebietskörperschaft.

 

Pilotprojekt | Standort Leipzig | 2022 - 2025

Zusammen mit unseren strategischen Partner:innen - der AOKplus, der ABE Zuhause gGmbH und der Kirchgemeinde im Leipziger Süden - setzen wir unseren Piloten in zwei Kleinquartieren in Leipzig um. Unser Projektziel ist es nicht, die gesamte pflegerische Versorgung für diese Personengruppe zu übernehmen, sondern bestehende Pflegestrukturen so zu flankieren, dass professionelle Dienste sich auf anspruchsvolle pflegerische Tätigkeiten konzentrieren können. Wir möchten eine Anzahl von 100 Pflegebedürftigen über ein gesteuertes und angeleitetes Nachbarschaftsnetzwerk unterstützen. Dazu wollen wir 300 bis 500 Nachbar:innen mobilisieren, die nachbarschaftliche Sorge-, Hauswirtschafts- und Grundpflegeleistungen erbringen.

 

Kulturelle Partizipation | Standort Leipzig | 2023

Wir möchten das Thema Pflege nicht alleine faktisch, sachlich vermitteln, sondern einen partizipativen soziokulturellen Ansatz wählen. So können wir die QuartierPflege auf verschiedenen Ebenen kulturell vermitteln und damit beispielsweise unterschiedliche Zielgruppen wie Alleinerziehende, Renter:innen, Jugendliche ab 14 und Studierende viel besser ansprechen. Diese Zielgruppen beschäftigen sich ganz unterschiedlich mit den Themen Barriere, Gebrechlichkeit, Teilhabe oder Inklusion und so unterschiedlich möchten wir auch auf diese Gruppen zugehen können. Wir entwickeln einen Konzept-Baukasten für die Mobilisierung aller Generationen und Zielgruppen in den Quartieren.

 

Inspiration für die QuartierPflege | 2018

Unsere Diskussionsveranstaltungen in der naTo - ein soziokulturelles Zentrum in Leipzig - im Jahr 2018 mit Pfleger:innen, Gepflegten sowie Politiker:innen und Arbeitgeber:innen haben uns zu diesem Programm geführt. Lesen Sie gerne die Ergebnisse der damaligen Diskussionen nach.

 

Weitere Pilot-Standorte

Aktuell arbeiten wir an verschiedenen Anträgen zur Umsetzung unseres Modells in tätige QuartierPflege.

Wenn Sie sich als Wohnungsgesellschaft, als Gebietskörperschaft, als Kirche oder Pflegedienst und Wohlfahrtsorganisation oder als Fachverband angesprochen fühlen und Teil des Programms QuartierPflege werden möchten, dann schreiben Sie uns gerne eine Email. Wir laden Sie herzlich ein, sich am Projekt zu beteiligen und freuen uns immer über Partner:innen mit Expertise, Erfahrung und neuen Ideen für unsere Vision.

 

Podcast

In dem Podcast Neustart – Die Zukunft beginnt mit uns beschäftigt sich der Autor Tobias Hülswitt mit einem breiten Spektrum von Zukunftsthemen. In jeder der Folgen wird ein Gespräch mit Expert:innen aus verschiedenen Bereichen geführt: Wissenschaftler:innen, Unternehmer:innen oder anderen Zukunftsmacher:innen. Am 6. August 2021 haben wir mit Tobias Hülswitt über die QuartierPflege gesprochen.

Kooperierende Expert:innen

Prof. Dr. Corinna Petersen-Ewert, HAW Hamburg

Seit 2013 ist sie Professorin für Gesundheits- und Sozialwissenschaften an der HAW Hamburg und befasst sich hierbei u.a. mit Themen wie Gesundheitsbezogene Lebensqualität und chronische Erkrankungen, Community Health Nursing, Pflegende Angehörige, Menschen mit Assistenzbedarf.

Wie Menschen mit großen Herausforderungen, wie beispielsweise die Diagnose einer chronischen Erkrankung, in ihrem Leben umgehen, hat sie schon immer interessiert. Es gibt so viele unentdeckte, stille Held:innen in Deutschland, die ihren Alltag trotz zahlreicher Hindernisse bewältigen und positiv gestalten. Das beeindruckt sie. Deshalb ist Prof. Petersen-Ewert auch gerne Teil des Teams QuartierPflege, um Bedarfe der Menschen im Quartier zu untersuchen und Forschung mit einem klaren Anwendungsbezug durchzuführen. Sie findet es spannend, Befragungen durchzuführen und dann die Ergebnisse mit den Menschen vor Ort zu diskutieren. Die Daten können dabei helfen, eine Gesprächsgrundlage zu schaffen.

Weiterhin tritt sie dafür ein, dass eine gesundheitliche Versorgung am besten mit einem interdisziplinären Team erfolgt. Hierfür brauchen wir eine neue Aufteilung von Verantwortlichkeiten. Das Projekt QuartierPflege bietet die Chance, die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit einem Unterstützungsbedarf innovativ zu gestalten.


Dorian Ammer, ABE Zuhause gGmbH

Studierte BWL und gründete 2021 mit Linda Grünberg die ABE Zuhause GmbH als Betreuungs- und Entlastungsdienst nach sächsischem Landesrecht. Er denkt Pflege und Wirtschaft neu und schafft durch den finanziellen und praxisorientierten Blickwinkel eine neue Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit im Bereich pflegenaher Dienstleistungen.

2023 ist die ABE Zuhause als Praxispartner zur QuartierPflege gestoßen, um die Menschen anzustellen, die bereit sind Ihre Nachbar:innen zu unterstützen und die Abrechenbarkeit der Leistungen gegenüber den Pflegekassen sicherzustellen. Nach dem Motto „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ sorgt die Zusammenarbeit dafür, dass Menschen schnell und unkompliziert an der QuartierPflege mitwirken können.


Annike Morgane Nock, Gesundheitswissenschaftlerin, HAW Hamburg

Schon während ihrer Berufsausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin in einem großen Klinikum in Hamburg hat sich Frau Nock mit den sozialen Lebensverhältnisse von Menschen und deren Auswirkungen auf ihre Gesundheitschancen beschäftigt. In ihrem Studium in Hamburg und Bremen konnte sie dieses Interesse mit anderen teilen. 

Frau Nock interessierte sich schon immer für Lebensgeschichten. Als Kind von Ethnologen konnte sie viele Orte und Menschen auf unserer Welt kennenlernen und Lebenswelten erleben. Neues zu entdecken, fasziniert sie und sie geht gerne auf Menschen zu, lernt von anderen und arbeitet gerne im Team. Besonders prägend war ihre Zeit in der Versorgung suchtmittelabhängiger Menschen, in der sie täglich Biografien und Ungerechtigkeit mitbekommen hat. Diese Arbeit hat ihren professionellen Blick geschärft und sie auf blinde Flecken in unserem Gesundheitssystem aufmerksam gemacht. Mit dieser Aufmerksamkeit begleitet sie nun die QuartierPflege.


© Bosold Pflege GmbH

© Bosold Pflege GmbH

Tobias Bosold, Geschäftsführer der Bosold Pflege GmbH

Seit 1986 ist er Krankenpfleger und Pflegedienstleiter (PDL), hält einen BA Pflegemanagement und ist an der Implementierung des Buurtzorg-Pflegemodells (sich selbst organisierendes Nachbarschafts-Pflegemodell) in Leipzig Connewitz beteiligt.

Tobias Bosold unterstützt uns im Bereich professionelle Pflege nach SGB 11 und 5 bringt und seine Erfahrungen aus der Leitung eines ambulanten Pflegedienstes ein.

Dabei kommt es ihm auf gute Vor-Ort-Beratung, Vernetzung und die richtigen Kooperationspartner an. Wichtig sei zudem aus bereits erarbeiteten Modellen Inspiration zu schöpfen. Eine praktische Umsetzbarkeit sowie eine gute Dokumentation und wissenschaftliche Begleitung des Projektes seien nötig.


Dr. Stefan Oer - Dozent

Nach dem Studium der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaften und beginnend mit der Promotion 1995 im Bereich Interdisziplinäre Alternsforschung interessiert ihn das Gelingen des demografischen Wandels. Generationen und deren Lebensentwürfe zu beforschen und in unterschiedlichen Bereichen der Lehre und Forschung gelingende Strukturen zu entdecken. Er vertritt die Auffassung, dass das Gelingen einen außerordentlich komplexen Vorgang voraussetzt, der sich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis zeigt. Inzwischen kann von der Notwendigkeit gesprochen werden, nicht nur interdisziplinär, sondern insbesondere antidisziplinär zu arbeiten, um größtmögliche positive Wirksamkeiten zu erzeugen. So versteht er die Arbeit für Gemeinsinn und insbesondere die Chancen für eine QuartierPflege.

Die positive Wirksamkeit kann sich in unterschiedlichen Lehrtätigkeiten äußern, indem der Theorie-Praxistransfer noch mehr als bisher gestaltet wird.

Im Projektzusammenhang QuartierPflege möchte er die Rolle des Kümmerers speziell für den ländlichen Raum einnehmen und zum Gelingen beitragen.


© Stefanie Schmidt

© Stefanie Schmidt

Dr. Sonja Menzel

Sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin und als Projektentwicklerin seit 1994 mit Wohnungsgenossenschaften bzw. speziell auch mit der Gründung von neuen genossenschaftlichen Wohnprojekten befasst.

Frau Menzel engagiert sich in der Bildungsgenossenschaft innova eG, im Arbeitskreis Integriertes Wohnen e.V. und im Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V., so dass sie viel genossenschaftliche Expertise mitbringt.

Das Modell der QuartierPflege unterstützt sie mit gelungenen Beispielen von Selbsthilfe und Selbstverantwortung, bei Partizipationsprozessen der Mitwirkenden und bei der Gestaltung der Kooperationsbeziehungen der Akteure im Quartier

Wichtig ist ihr die Träger:innen und die Mitwirkenden vor Ort zu begeistern sowie dafür zu sorgen, dass die Expert:innen im Projektverlauf sukzessive überflüssig werden.


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Regina Schulze, AOK PLUS-Bereichsleiterin Pflege/Häusliche Krankenpflege

Als Praktikerin aus dem Bereich der Pflegeversicherung steht für Frau Schulze das Wohl der Versicherten im Zentrum. Möglichkeiten der Unterstützung/Finanzierung durch die soziale Pflegeversicherung aufzeigen, ist daher ihr Fokus in der QuartierPflege. Die Pflegeversicherung bietet viele Möglichkeiten Pflegebedürftige und deren Angehörige zu unterstützen. Oft werden die zur Verfügung stehenden Mittel nicht genutzt. Deshalb haben Aufklärung und Beratung oberste Priorität.

Wichtig ist, dass die Bewohner:innen im Quartier wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie in einer schwierigen Situation sind, d.h. konkrete Ansprechpartner.  Gute Ergebnisse für das Projekt wären, wenn die Einwohner:innen so lange wie möglich in der gewohnten Umgebung, in ihrer Wohnung bleiben können bzw. das Leistungsspektrum der sozialen Pflegeversicherung besser genutzt und die nachbarschaftliche Hilfe und Unterstützung gestärkt wird.


© https://www.pflege-in-leipzig.de/

© https://www.pflege-in-leipzig.de/

Robert Wolf, Assistent der Geschäftsführung Bosold Pflege GmbH

Er ist geprüfter Fachwirt des Gesundheits- und Sozialwesen, hält einen Magister in Politikwissenschaften und ist examinierter Krankenpfleger. Seine Expertise liegt darin, Strukturen, Akteure & Finanzierungsformen im Gesundheitssystem zu kennen und diese für das Modellprojekt fruchtbar zu machen.

Ihm ist es wichtig, einen offenen, wertschätzenden Austausch aller professionellen, institutionalisierten und nicht-professionellen bzw. ehrenamtlichen Akteuren zu organisieren.

Persönlich sieht Herr Wolf momentan in der Gesundheits- und Sozialpolitik viele offene Fragen, ohne dass auch nur in Ansätzen zukunftsweisende Ideen in einem politischen Diskurs münden würden. Daher ist aus seiner Sicht jetzt ein guter Zeitpunkt, um gemeinsam, aktiv und dezentral, lokale Strategien und Strukturen für Hilfebedürftige und Helfende zu entwickeln. Wenn das Modell QuartierPflege in veränderte (Sozial- und Kommunal-)Politik münden, so dass Lebens- und Arbeitsverhältnisse und damit die Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigt werden, wäre das für ihn ein toller Erfolg.

Prof. Dr. Dieter Röh, HAW Hamburg

Als Sozialarbeits- und Gesundheitswissenschaftler interessiert er sich für das theoretische und konzeptionelle Verständnis von Teilhabe und versucht dies in Lehre und Forschung über vielfältige Zugänge für die Praxis anwendbar zu machen. Dazu gehören für ihn auch ein sozialräumlicher Ansatz, der Teilhabeförderung als gemeinsame Aufgabe von Fachkräften, Adressat:innn und Bürger:innen denkt und entsprechend handelt.

Mit Hilfe der QuartierPflege bzw. den Sorgegemeinschaften kann Teilhabe erreicht werden, da über die partizipative Vorgehensweise zu Pflegende und Pflegende (egal ob professionell oder als Nachbar:innen oder Angehörige) in Kontakt kommen und ihre Handlungen zur Deckung des Pflege- und Unterstützungsbedarf aufeinander abstimmen können.

Prof. Röh bringt in das Projekt also die spezifische Perspektive der Sozialen Arbeit ein, die er an der Kontaktstelle von Subjekten und Gemeinschaften/Gesellschaften sieht. Mit der Sozialraum- und Netzwerkarbeit sowie der damit verbundenen Forschung, die er im Projektkontext vornehmlich vertritt, liegen konzeptionelle Ansätze vor, die sowohl im technologischen Ziel der Entwicklung einer Software-Umgebung als auch im lebensweltlichen Kontext der Sorgegemeinschaften von hoher Relevanz sind.

In der QuartierPflege, unterstützt durch die Software-Umgebung, sehe ich einen zukunftsweisenden Ansatz zur Bewältigung zukünftiger Aufgaben in Pflege und Teilhabe, den er gerne mit meinem wissenschaftlichen Know-how unterstützt.


Oliver Glüsing, Soziologe, HAW Hamburg

Geboren im hohen Norden, war es das Interesse am Menschen und der Gesellschaft, was ihn zum Studium der Soziologie nach Hamburg führte. Nach kürzeren Stationen in Amsterdam und Berlin zog es ihn auch wieder hierher zurück. In der Soziologie konzentriert er sich auf die kritische Migrationsforschung, die soziale Ungleichheit, den sozialen Ausschluss und die Anerkennungstheorie. Fragen der Gerechtigkeit, der Moral und der Demokratie interessieren ihn. Die politische, kulturelle und soziale Teilhabe, das gesellschaftliche Einbezogensein und die Verteilung von Lebenschancen sind hierbei zentral. Herr Glüsing versteht den Menschen als Gemeinschaftswesen und nicht als in ständiger Konkurrenz zueinanderstehend. 

Ein Satz einer auf Unterstützung angewiesenen Person in einer Veranstaltung klingt bei ihm noch immer nach: „Je mehr Teilhabe mir durch die Pflege meiner Verwandten ermöglicht wird, desto weniger Teilhabe haben sie selbst.“ Er denkt, dass dies nicht so sein sollte und die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Pflege auch gesamtgesellschaftlich gelöst werden muss. Die Netzwerke, die diese Aufgaben gerade leisten, müssen gestärkt und vergrößert werden. Es werden mehr helfende Hände gebraucht. Hierin sieht er auch den Sinn des Projekts QuartierPflege.


Ivonne-N. Jürgensen, Gesundheitswissenschaftlerin, HAW Hamburg

Geboren und aufgewachsen in der lebendigen Stadt Hamburg, fand sie über Umwege ihre Leidenschaft in den Gesundheitswissenschaften. Ihr Interesse gilt vor allem der Gesundheitsförderung. Nicht nur als theoretisches Konstrukt, sondern als lebendige Realität, die das tägliche Leben der Menschen verbessert. In ihren Erfahrungen, vor allem in der Quartiersarbeit mit älteren Menschen, entdeckte sie die subjektiven Bedürfnisse und Herausforderungen dieser diversen Gemeinschaft.

Das Besondere an ihrer Arbeitsweise ist eine gelingende Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis. Die Entwicklung innovativer Gesundheitsansätze, die nicht nur auf dem Papier überzeugen, sondern auch in der Umsetzung einen messbaren Unterschied machen.

In herausfordernden Situationen sucht sie diplomatische Lösungen, ohne das übergeordnete Ziel aus den Augen zu verlieren. Ihr Antrieb ist es, positive Veränderungen im Gesundheitsbereich herbeizuführen – eine Welt zu gestalten, in der wir alle die Möglichkeit haben, gesund zu leben und alt zu werden.


Prof. Dr. Georg Jahn, TU Chemnitz

Als Leiter der Professur für Angewandte Gerontopsychologie und Kognition vermittelt er in der Lehre die Themen Pflege, freiwilliges Engagement, Digitalisierung und Quartierentwicklung aus alterswissenschaftlicher Perspektive für die Studiengänge Psychologie, Public Health und Human Factors. Er kann sich für grundlagennahes wissenschaftliches Arbeiten in der Psychologie ebenso begeistern wie für individuell und gesellschaftlich positiv wirksame Anwendung.

Es ist ihm ein besonderes Anliegen, Erkenntnisse, bewährte Methoden und adaptierbare Konzepte beizutragen, um funktionierende Nachbarschaften zu befördern. Einen Rahmen dafür geben gemeinsam konzipierte Forschungsprojekte, die auch Gelegenheit bieten, engagierte Studierende einzubinden.


© http://arbeits-gruppe.de/architekten_ingenieure

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Juri Kuther, Architekt, Dipl. Ing. M.A.

Seine praktischen Erfahrungen und unkonventionellen Ansätze im Maschinenbau welche er während seiner Zeit Fachoberschule sammelte, hatten starken Einfluss auf seine Architektursprache. Seit 2012 entstehen gemeinsam mit Dennis Gregor unterschiedliche Architekturen aus seiner Hand. Noch heute unterstützt er junge Studenten in der Lehre auf Ihrem Weg. 

Die Rolle von Herrn Kuther ist es räumliche bzw. bauliche Aspekte in das Projekt einfließen zu lassen. Das Entwickeln von Konzepten und das Entwerfen von Räumen ist ein Hauptbestandteil seiner Arbeit. Seine Stärken liegen darin, diese doch recht komplexen Prozesse zu veranschaulichen um alle Beteiligten und letztlich davon "Betroffenen" so weit wie möglich zu integrieren.

Die Herausforderung wird darin bestehen diese Eigenschaften herauszuarbeiten, und zusammen mit allen Projektbeteiligten räumliche Konzepte zu entwerfen und diese wenn möglich auch umzusetzen.

Im Freundeskreis sowie in seiner Familie wird viel im Pflegebereich gearbeitet. Daher setzt er sich fast täglich mit diesem Thema auseinander und ist sehr daran interessiert, welche Rolle hier Architektur spielt und was sie leisten kann.


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Elke Härtig, Pflegenetzwerk Leipzig, Netzwerkkoordinatorin

Als Leiterin des Beratungszentrums des Pflegenetzwerk Leipzig e.V. mit seiner Vielzahl an Angeboten für die Leipziger Bürger:innen (persönliche Beratung, Pflegekurse, Kurse für Nachbarschaftshelfer, Bürgerveranstaltungen) weiß sie um die Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen und ihrer Familien.

Dabei ist es für sie unerheblich, ob es sich um Menschen mit einer Behinderung oder durch Alter und Krankheit pflegebedürftig gewordene Menschen handelt. Als Case Managerin (DGCC) und mit der Hintergrunderfahrung aus der Alten- und Behindertenhilfe möchte sie den Betroffenen und ihren Familien alle Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzeigen, die sich aus der Gesetzgebung und den lokalen Hilfestrukturen in Leipzig ergeben. Dafür arbeitet sie gut vernetzt und im engen Austausch mit den entsprechenden Akteuren.

Die Individualität jedes pflegebedürftigen Menschen mit seinem ganz persönlichen Hilfe- und Unterstützungsbedarf sollte sich aus ihrer Sicht in den Unterstützungsangeboten vor Ort widerspiegeln.


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Konstantin Sprenger, Sprecher Studierendenrat MLU Halle

Herr Sprenger war seit dem Wintersemester 2016 Student der Agrarwissenschaften an der MLU und seit dem WS 2018 Mitglied im Studierendenrat. Dort war hat er sich  als Sprecher für Soziales hauptsächlich um die Vergabe und Verwaltung des Sozialdarlehens des StuRas für in finanzielle Schieflage geratene Studierende gekümmert. Daher bringt er in das Modell der QuartierPflege insbesondere die Perspektive von Studierenden als mögliche Mitwirkende ein. 

Aus seiner Sicht kann es darin u.a. sehr interessant sein, Wohnraum gegen Hilfe zu erhalten, was sich auch allein schon darin zeigt, dass das Konzept andernorts in ähnlichen Strukturen schon länger erfolgreich funktioniert. Er denkt, dass das in studentischen Umgebungen nicht nur wegen weiter steigenden Mietpreisen, sondern auch vielseitig interessierten und sozial engagierten, jungen Menschen durchaus umsetzbar ist. Für eine erfolgreiche Gestaltung sollten sich alle Parteien im Voraus darüber im Klaren sein, was der Gegenüber von einem erwartet. Dann können auch durch die nachbarschaftliche Stärkung das gesamt Quartiere attraktiver werden.


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Lola Güldenberg, Trendforscherin und Innovationsentwicklerin

2001 gründete Frau Güldenberg in Berlin eine eigene Trendforschungsagentur. Ihre Arbeit konzentriert sich nicht nur auf Trendforschung, sondern berührt auch Bereiche wie Kunst, Design und Technologie. Gerade hat sie ihr zweites Unternehmen gegründet – CARLO Technische Beratung in der Pflege. Sie ist zudem internationale Keynote-Sprecherin und hat an mehreren Universitäten und Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterrichtet.

Für sie muss Technologie wertfrei und anpassbar sein. Man muss es schaffen, dass der Nutzen leicht zu erleben und zu verstehen ist. Dafür braucht es ein Vertrauensverhältnis. Es liegt nicht an den Menschen, wenn Fehler in der Bedienung passieren oder Technologie gänzlich unzugänglich bleibt.

Frau Güldenberg ist es wichtig, zu akzeptieren, dass es Menschen gibt, die analog sein wollen. Trotzdem kann man ihnen mit Hilfe von Digitalisierung das Leben erleichtern kann. Ihr konkreter Wunsch an die QuartierPflege ist es, dass in ihr das erste Rollatoren-Sharing in Deutschland aufbaut wird.